Das sagt die Presse
Wenn Worte Schätze sind © Rhein-Neckar-Zeitung – 19.08.2015
„Literarisches Geocaching“ der Kinderbücherei: Mit GPS-Geräten durchforsteten fünf Kinder den Wald auf der Suche nach der Geschichte
Von Daniela Biehl
Ungewöhnlich ist es nicht, dass Kinder den Stadtwald für sich erobern, über den einen oder anderen Graben springen und bemüht sind, etwas zu finden. Dass es dann aber plötzlich in der Jacke piepst, weil ein Metallplättchen das GPS aktiviert, kommt schon seltener vor. Als fünf Kinder gemeinsam mit Michael Catrein und Andrea Kasper, Leiterin der Kinderbücherei, durch den Wald stromern, waren sie auf literarischer Geocaching-
Tour. Geocaching ist eine Art elektronische Schnitzeljagd:
Mit GPS-Empfängern ausgestattet begibt man sich auf Schatzsuche.
Der Clou: Hinter den Schätzen steckt nicht etwa ein verborgener Gegenstand, sondern ein Teil einer Geschichte. Immer, wenn die Fünf ein weiteres Stück aus dem Buch „Undercover City: Der Unsichtbare im Wald“ fanden, machte Catrein Halt und las ihnen vor. Aber nur bis zum nächsten Höhepunkt der Geschichte – dann musste die Truppe erst wieder die Koordinaten im GPS eingeben und den nächsten Teil suchen. Für den achtjährigen Erik ein besonderer Spaß. Unter den jungen Geocachern ist er da schon ein alter Hase, hat durch Heidelberg bereits drei Touren hinter sich und unzählige Schätze schon gefunden. Warum also macht er zum vierten Mal mit? „Ich
mag das ganz gerne. Da findet man ja nicht nur, was man sucht. Man sieht auch so viel vom Wald oder der Stadt“, sagt Erik.
Erik flitzt zwischen den Bäumen und Wurzeln hin und her und entdeckt schlieߟlich eine alte, verrostete Holztür mitten im Wald. Nur: Wo ist der nächste Teil der Geschichte?
Catrein flüstert demKleinen etwas ins Ohr – noch vor einem Tag ist er die Route selbst abgelaufen, hat Peilsender und Ausschnitte aus dem Buch versteckt und sich die Koordinaten notiert. Der erfahrene Geocacher macht diese Touren vor allem, um den Kindern etwas zurückzugeben:
die Liebe zur Natur. Er will sie weglocken vom Computer oder Handy. Mit den Waffen der Zeit: dem GPS.
Und bei Erik scheint es zu funktionieren, der Achtjährige hat inzwischen den „Schatz“ gefunden – auf der Hinterseite der Tür war der mit einem Magneten befestigt gewesen –und so wird jetzt gelesen. Es geht um Emily Brown, deren Schicksal als Tochter zweier Geheimagenten ganz wesentlich von „Undercover City“ abhängt. Dort kann sie von der Außenwelt abgeschirmt sicher aufwachsen. Zumindest, bis sie erkennt, dass auch das eine Illusion ist. Denn die Tiere im Wald haben plötzlich vor etwas Angst.
„Da steckt bestimmt ein Wissenschaftler dahinter. Die sind es immer“, meinen Madline (9) und Henri (9) plötzlich.
So ganz unrecht haben beiden damit auch nicht. Doch das Jagdfieber hatte sie schon wieder gepackt – und so geht es tiefer in den Wald hinein. „Das ist cool hier. Alle in meiner Familie waren mal auf Schnitzeljagd, meine Eltern, meine Freunde. Damals aber noch mit Kompass“, berichtet Madline. Nur eine halbe Stunde später findet sie selbst einen Kompass unter der Rinde eines alten Baumes versteckt. Für Kasper ist das Literarische Geocaching vor allem ein Mittel zur Leseförderung. Und so verlässt die Truppe am Ende den Wald, gibt ihm seine
Geheimnisse zurück – und findet stattdessen das Buch, aus dem da die ganze Zeit gelesen wurde. Die Kinder dürfen es jetzt behalten.
Digitale Schnitzeljagd für Leseratten
„Zeitver(sch)wender“ entwickeln literarischen Geocache
Zusammen mit dem Geocaching-Experten Michael Catrein haben die „Zeitver(sch)wender“ und deren junge Mitstreiter einen „Literarischen Geocache“ für die Bergstadt entwickelt.
Auf der Weltkarte der Geocacher ist die Bergstadt schon seit Langem kein weißer Fleck mehr. Wie aus Szenekreisen zu hören ist, soll es hier nämlich eine ganze Reihe an gut verborgenen und nur mit GPS-Geräten oder GPS-fähigen Smartphones zu findenden „Cashes“ geben. Die Rede ist dabei von rund 50 solcher Verstecke im gesamten Stadtgebiet und näheren Umfeld. Genug also, um passionierte Geocacher eine ganze Weile bei Laune zu halten.Der sich regelmäßig im Gemeindezentrum Rote Schule treffende, nicht-kirchliche Leseclub „Zeitver(sch)wender“ hat dem jedoch noch ein weiteres Suchangebot hinzugefügt. Und zwar in Form eines „Literarischen Geocaching“, für das das im Gerstenberg erschienene Jugendbuch „12 things to do before you crash and burn“ von James Proimos (ISBN 978-3-8369-5756-4) als inhaltliche Grundlage dient.
Dazu hatten die „Zeitver(sch)wender“ mit Michael Catrein, der über seine Firma „Marabu-Koblenz“ unter anderem Beratungen rund um das Thema „GPS in der Freizeit“ anbietet und nach eigenen Angaben das „Literarische Geocaching“ erfunden hat, einen entsprechenden Workshop in Obernkirchen ausgerichtet, an dem auch einige „externe“ Kinder und Jugendliche teilnahmen. Gemeinsam wurde die Romanvorlage intensiv gelesen und überlegt, welche Textpassagen man als Geocaching-Rätsel weiterentwickeln könnte. Und wie bei konventionellen Geocaching-Rätseln soll der sich diesem „Literarischen Geocaching“ widmende Spieler an jeder von diesem gefundenen Station (sprich: Cache) weitere Informationen zum Fortgang der Geschichte erhalten, um auf diese Weise nach und nach zur Auflösung des Ganzen zu kommen: „Es ist eine digitale Schnitzeljagd“, verdeutlicht Catrein, während die Obernkirchenerin Milena Podlich (13) verrät, dass es doch recht schwierig gewesen sei, die passenden Verstecke für die einzelnen Caches festzulegen. Denn jedes dieser Verstecke müsse ja auch auf Dauer Bestand haben, damit das Spiel langfristig funktioniert. Letztlich sei es dann aber doch gelungen, hierfür „gute Verstecke“ auszuwählen.
Worum es in dem Roman „12 things to do before you crash and burn“ geht, das fasst Julia Schönbeck vom Leseclub „Zeitver(sch)wender“ übrigens so zusammen:
Nachdem sein Vater verstorben ist, wird der Junge Hercules von seiner Mutter während der Ferien zu seinem Onkel geschickt, mit dem er sich besser versteht als mit seiner Mutter. Auf der Zugfahrt dorthin begegnet ihm eine junge Frau, in die er sich verguckt und die er deshalb unbedingt wiedersehen möchte. Von seinem Onkel aber erhält er eine zwölf Aufgaben umfassende To-do-Liste, die er Punkt für Punkt abarbeiten soll. Diese beschert ihm dabei nicht nur manch aufregendes Erlebnis, sondern bringt ihm auch wichtige Erkenntnisse über das Leben. Und schließlich lernt er dadurch sogar seine wahre große Liebe kennen.
Zudem ist von Schönbeck zu erfahren, dass der zusammen mit Catrein für Obernkirchen ausgearbeitete „Literarische Geochache“ das mittlerweile dritte Projekt der „Zeitver(sch)wender“ ist, mit dem sich der Leseclub an der vom Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V. initiierten Aktion „Literanauten überall“ beteiligt. Einem bundesweiten „Leseförderungsprojekt von Jugendlichen für Jugendliche“, das 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen dessen auf fünf Jahre angelegten Förderprogramms „Kultur macht stark“ ins Leben gerufen worden ist.
Weitere Informationen zu dem ersten „Literarischen Geocache“ in der Bergstadt wird es demnächst im Internet unter http://zeitverwender.kirche-obernkirchen.de/ geben, wobei diese Anleitung aber erst im Laufe der bevorstehenden Sommerferien zusammengestellt sein wird.
Wer sich also auf die Suche nach des Rätsels Lösung begeben und in die Geschichte eintauchen möchte muss sich noch ein bisschen gedulden.
Michael Werk